Das Thema Völkermord ist derzeit so präsent wie schon lange nicht mehr. Nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres wurde dieser Begriff immer wieder in der Berichterstattung in den sozialen Medien oder auf Demonstrationen gehört, überwiegend in Richtung der Reaktionen von Israel. Seit dem 11. Januar muss sich Israel nun auch tatsächlich vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gegen den von Südafrika erhobenen Vorwurf des Völkermords verteidigen. Südafrika hat vorläufige Maßnahmen gegen Israel beantragt, insbesondere die Einstellung der Kampfhandlungen im Gazastreifen, da diese angeblich einen Völkermord darstellen. Viele verwenden den Begriff derzeit ohne genaue Kenntnis der rechtlichen Einordnung dieses Tatbestands. Als Strafverteidiger aus Hannover möchte ich daher näher erläutern, was genau unter dem Begriff Völkermord zu verstehen ist und wie er rechtlich eingestuft wird.
Was ist ein Völkermord?
Die Definition des Völkermords ist in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948 festgelegt. Artikel 2 dieser Konvention definiert Völkermord als eine der folgenden Handlungen, wenn sie mit der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.
Ein Völkermord ist gekennzeichnet durch die spezielle Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Daher wird er auch als „einzigartiges Verbrechen“, als "Verbrechen der Verbrechen" oder als das "schlimmste Verbrechen im Völkerstrafrecht" bezeichnet.
Völkermord wird oft auch als "Genozid" bezeichnet. Der Begriff wurde 1943 von dem polnischen Anwalt Raphael Lemkin geprägt. Er setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort "genos", was "Rasse" oder "Volk" bedeutet, und aus "cide" (aus dem Lateinischen "caedere"), was "töten" bedeutet.
Für das 20. Jahrhundert werden mehrere Fälle als Genozid betrachtet. Dazu zählt der Mord an den europäischen Juden während des Zweiten Weltkriegs sowie der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994. Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag klassifizierte zudem in seinem Urteil vom 26.02.2007 das Massaker in Srebrenica (im ehemaligen Jugoslawien) im Juli 1995 als Völkermord. Weiterhin hat der Bundestag am 02.06.2016 erstmals die Massentötung von Hunderttausenden Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord eingestuft.
Wie ist Völkermord in der deutschen Gesetzgebung verankert?
Die rechtliche Verankerung des Völkermords in Deutschland erfolgt durch die Einordnung als Völkerrechtsverbrechen gemäß § 6 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB). Diese Definition entspricht im Wesentlichen derjenigen der Völkermordkonvention von 1948. Die Strafen für Völkermord in Deutschland können von Freiheitsstrafen bis hin zu lebenslanger Haft reichen, je nach Schwere der Schuld und den individuellen Umständen des Verbrechens.Was ist der
Unterschied zwischen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen beide schwerwiegende Straftaten im Völkerstrafrecht dar. Während Völkermord darauf abzielt, eine bestimmte Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, umfassen Verbrechen gegen die Menschlichkeit weiterreichende Handlungen wie Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation, Folter oder systematische Diskriminierung gegen eine Zivilbevölkerung, die im Rahmen eines weitverbreiteten oder systematischen Angriffs begangen werden. Der Hauptunterschied liegt in der spezifischen Absicht des Völkermords gegenüber einer bestimmten Gruppe im Vergleich zum breiter gefassten Anwendungsbereich von Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Welche Rolle spielt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) bei der Verfolgung von Völkermord?
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist eine unabhängige und dauerhafte Institution, die speziell dafür geschaffen wurde, die schwerwiegendsten Verbrechen zu verfolgen, die das internationale Recht betreffen. Diese Verbrechen umfassen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der IStGH greift ein, wenn nationale Gerichte entweder nicht bereit oder nicht in der Lage sind, mutmaßliche Täter dieser Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen. Seine Aufgabe besteht darin, sicherzustellen, dass Gerechtigkeit für die Opfer solcher Verbrechen erreicht wird, und dazu beizutragen, die Straflosigkeit für die schwerwiegendsten Menschenrechtsverletzungen zu beenden.
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