Ärztlicher Heileingriff
Hier erfahren Sie alles Wesentliche und Notwendige über den ärztlichen Heileingriff.
Ärztlicher Heileingriff
Im März 2019 hat das Amtsgericht Hannover einen Zahnarzt wegen Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Neben mehreren radikalen Eingriffen, unter denen einige seiner Patienten noch heute leiden, hat er einer Frau in einer achtstündigen OP insgesamt 15 Zähne gezogen, davon 10 gesunde. Dieser Fall gibt Anlass, einen Blick auf die rechtliche Wertung von ärztlichen Behandlungen zu werfen. In engem Zusammenhang dazu steht die sog. rechtfertigende Einwilligung, auf die in diesem Beitrag ebenfalls knapp eingegangen wird.
Die Rechtsprechung sieht in jedem ärztlichen Heileingriff, der die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt, stets eine tatbestandsmäßige Körperverletzung. Diese ist aber bei Eingreifen von Rechtfertigungsgründen gerechtfertigt. Als Rechtfertigungsgründe kommen die erteilte oder mutmaßliche Einwilligung oder der rechtfertigende Notstand gemäß § 34 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Betracht.
Ärztliche Heileingriffe, die experimentellen Zwecken dienen, aus rein kosmetischen Gründen erfolgen oder allgemein nicht zum Zwecke der Heilbehandlung vorgenommen werden, fallen ebenfalls unter die §§ 223 ff. StGB. Damit bedürfen sie ebenfalls der Einwilligung des Patienten. Dasselbe gilt auch für Maßnahmen zwecks Behandlung Dritter, beispielweise bei einer Blutentnahme von Blutspendern.
Was passiert bei einer Einwilligung?
Die rechtfertigende Einwilligung stellt einen Rechtfertigungsgrund dar, der die Tatbestandsmäßigkeit eines Handelns unberührt lässt. Das bedeutet, dass das strafrechtlich sanktionierte Handeln an sich besteht, der Täter allerdings diesbezüglich gerechtfertigt ist. Aufgrund der Rechtfertigung scheidet die Strafbarkeit des Täters aus, was dazu führt, dass er nicht wegen Körperverletzung oder eines anderen Delikts verurteilt werden kann.
Welche Anforderungen werden an die Einwilligung gestellt?
Die rechtfertigende Einwilligung muss sich in erster Linie auf ein dispositionsfähiges Rechtsgut beziehen. Das bedeutet, dass die Person über das Rechtsgut in persönlicher Hinsicht verfügen können muss. Dazu zählen Individualrechtsgüter wie z.B. die körperliche Integrität, Allgemeinrechtsgüter scheiden aus. Des Weiteren muss die Person einwilligungsfähig sein. Das bedeutet, dass sie infolge geistiger und sittlicher Reife imstande sein muss, die Bedeutung und Tragweite des Rechtsgutsverzichts zu erkennen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. Weiterhin muss bei ihr der Verzicht auf den Schutz des Rechtsguts vor und bei Tatbegehung ausdrücklich oder konkludent vorliegen, aus Gründen der Rechtsklarheit muss eine entsprechende Kundgabe nach außen erfolgt sein. Wichtig ist insbesondere, dass die Person eine Entscheidung bei freier Willensbildung trifft. Unterliegt sie einer Täuschung, so leidet die Einwilligung an Willensmängeln. Damit dies nicht der Fall ist und eine wirksame Einwilligung erteilt werden kann, muss sie z.B. als Patient vollumfänglich über die wesentlichen Risiken des Eingriffs aufgeklärt werden. Nach dem Bundesgerichtshof (BGH) stellt sich bei diesen Aufklärungsfehlern aber zugleich immer die Frage, ob der Patient die Einwilligung versagt hätte, wenn er über das infrage kommende Risiko aufgeklärt worden wäre. Hätte er die Einwilligung dennoch erteilt, etwa weil das Risiko gering und die Operation sehr wichtig ist, dann ist der Aufklärungsfehler über die sog. hypothetische Einwilligung geheilt. Schließlich darf gemäß § 228 StGB kein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegen. Selbst wenn eine wirksame Einwilligung der verletzten Person vorliegt, verbleibt das Handeln des Täters rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Die guten Sitten stellen einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff dar, lassen sich aber aus der vorherrschenden Rechts- und Sozialmoral ableiten. Der BGH bestätigte dabei die klassische Definition des Reichsgerichts von 1901, welches die guten Sitten als „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ beschrieb.
Wie ist die Beschneidung von Jungen strafrechtlich zu bewerten?
Die Beschneidung männlicher Kinder und Jugendlicher aus religiösen Gründen („Zirkumsion“) stellt ein besonderes Problem des ärztlichen Heileingriffs dar. So sind sie nach der Rechtsprechung in tatbestandlicher Hinsicht ebenfalls als Körperverletzung gemäß § 223 StGB zu werten.
2012 löste das Urteil des LG Köln eine kontroverse Diskussion aus. Dabei ging es hauptsächlich um die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs an einwilligungsunfähigen Kindern. Der Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem ein Arzt in seiner Praxis unter örtlicher Betäubung die Beschneidung eines 4-jährigen Jungen durchgeführt hatte. Das Landgericht urteilte, dass Eltern nicht mehr wirksam für ihre Kinder einwilligen könnten. Der Arzt wurde lediglich aufgrund eines Verbotsirrtums gemäß § 17 StGB freigesprochen. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist bisher noch nicht erfolgt. Aus diesem Grund ist die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs über die Einwilligung höchst umstritten. In die Bewertung der Einwilligung fließen im Wesentlichen die Privatautonomie, das Erziehungsrecht der Eltern, die körperliche Integrität sowie die Religionsfreiheit mit ein.
Ende 2012 hat der Gesetzgeber § 1631d BGB erlassen, wonach die Personensorge nun auch das Recht umfasst, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Liegt demzufolge eine wirksame Einwilligung vor, so kann der ärztliche Eingriff gerechtfertigt sein. Offen bleibt allerdings nach wie vor die Frage, welche Auswirkungen ein ernsthaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachter entgegenstehender Wille des einwilligungsunfähigen Kindes auf die Rechtswidrigkeit haben kann.
Anklageschrift erhalten wegen Körperverletzung – was tun?
Sollten Sie eine Anklageschrift wegen Körperverletzung erhalten haben, dann ist die Heranziehung eines Rechtsanwalts für Strafrecht ratsam. Nehmen Sie ihre Sache nicht unüberlegt in die eigene Hand, da Sie sich sonst dem Risiko aussetzen, Ihre Verteidigungschancen einzubüßen. Körperverletzungsdelikte zählen zu den häufigsten Delikten im Alltag eines Rechtsanwalts für Strafrecht und auch für mich als Strafverteidiger in Hannover. Gerne beantworte ich Ihnen dabei als kompetenter Ansprechpartner in Hannover Ihre Fragen rund um die Körperverletzung und einer rechtfertigenden Einwilligung.